Während sich eine kulturkritische Auseinandersetzung mit ökonomischen Theorien und Modellen in der anglo-amerikanischen Forschung bereits in den 1990er Jahren unter dem Stichwort New Economic Criticism formierte, begannen die Literatur- und Kulturwissenschaften im deutschsprachigen Raum sich erst seit Beginn des neuen Jahrtausends intensiver für wirtschaftliche Themen und Zusammenhänge zu interessieren.
Vorreiter waren hier insbesondere der Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch, der sich bereits seit den 1990er Jahren in zahlreichen Publikationen dem Zusammenhang von Sprache, Literatur und Geld gewidmet hat, und der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl, der zunächst mit seiner Poetik des ökonomischen Menschen (2002) die kulturellen und anthropologischen Grundlagen der Figur des homo oeconomicus anhand einer Lektüre einschlägiger literarischer Texte des 18. und frühen 19. Jahrhunderts untersuchte, um 2010 mit den Arbeiten Das Gespenst des Kapitals (2010) und Der Souveränitätseffekt (2015) eine grundsätzliche Kritik an den wissenschaftlichen bzw. wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften aus kulturwissenschaftlicher Perspektive vorzulegen.
Dass sich die Finanzkrise zugleich als eine „Krise der Wirtschaftswissenschaften“ darstellte, ist inzwischen von vielen Seiten bestätigt worden (vgl. u.a. Honegger u.a., Hg.: Strukturierte Verantwortungslosigkeit, Frankfurt a.M. 2010). In neueren Studien verstärkt sich daher der Ruf nach einer Neuorientierung der Ökonomik, die von einer Öffnung hin zu anderen Disziplinen geprägt sein sollte.
So plädiert etwa Dietmar J. Wetzel dafür, „Erkenntnisse aus anderen Fächern, wie etwa Soziologie, Anthropologie [und] Psychologie“ (wieder) in die Betrachtung ökonomischer Prozesse einzubeziehen – leider werden die Literatur- und Kulturwissenschaften in diesem Kontext bis heute kaum genannt.
Die Auseinandersetzung mit den Ursachen und Folgen der letzten Finanzkrise scheint allerdings einen geeigneten Anlass zu bieten, literaturwissenschaftliche Theorien des Fiktiven und Imaginären, des Erzählens im Sinne von Storytelling, sowie der Ästhetik der (Finanz-)Ökonomie im Kontext einer kulturwissenschaftlich orientierten Wirtschaftswissenschaft auf ihren Erkenntnisgewinn hin zu erforschen.
Die Hinwendung zu Bereichen wie Literatur- und Kulturwissenschaften lässt sich in den USA bereits deutlich an den Vorlesungsverzeichnissen der renommiertesten Wirtschaftsfakultäten und -instituten ablesen: literatur- und kulturwissenschaftliche Texte, Theorien und Methoden gehören inzwischen zum festen Bestandteil des Curriculums (z.B. Harvard Business School: „The Moral Leader“; MIT Sloan School of Management: „Literature, Ethics and Authority“; Maryville College, Tennessee: „Management through Literature“).
Auch im deutschsprachigen Raum lässt sich der Anspruch auf eine entsprechende Erweiterung des Wirtschaftsstudiums bereits an den formulierten Zielen und Ausbildungskonzepten vieler privater Hochschulen und business schools ablesen, etwa in der Forderung nach persönlichen Fähigkeiten, die sich – über betriebswirtschaftliche Fachkompetenz hinaus – aus sozialen, methodischen sowie kulturellen und gesellschaftspolitischen Kompetenzen zusammensetzen (Stichworte „Wirtschaftsethik“ und Corporate Social Responsibility).
Doch wird das Potential dieser so gefragten cultural skills bisher kaum in seiner Tragweite erkannt und systematisch in Lehr- und Studienkonzepte umgesetzt. Die Etablierung eines dezidiert interdisziplinären Bereichs wie der Cultural Economic Studies ist ein entscheidender Schritt, um die Kompetenzen, die aus den Literatur- und Kulturwissenschaften gewonnen werden können, gezielt für die verschiedenen Bereiche des Studiums der Wirtschaft aufzubereiten und als Module anzubieten (z.B. im Rahmen eines Studium Generale bzw. Studium fundamentale), aber auch im Hinblick auf ein Master-Programm, wie es etwa an der Universität Mannheim mit dem Master-Studiengang „Kultur und Wirtschaft“ angeboten wird – allerdings mangelt es diesem, wenn auch gutgemeinten, Vorreiterprojekt an einem Interesse an einer interdisziplinären Ausrichtung der Forschung und der Lehrveranstaltungen.
Im Rahmen der Cultural Economic Studies zu vermitteltende Skills und Kompetenzen:
• Ausbildung analytischer Fähigkeiten auf hohem wissenschaftlichen Niveau
• Sensibilisierung für ethisch-moralische Fragen
• Steigerung der Kommunikationskompetenz
• Analysekompetenzen in den Bereichen Rhetorik und Storytelling in ökonomischen Kontexten
• (Selbst-)Reflexion ökonomischen Denkens und Handelns
• Steigerung sozialer und interkultureller Kompetenzen